Rechtsanwalt Joachim Schaller

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Rechtsanwalt Joachim Schaller erstritt Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des BAföG-Bedarfssatzes für Studierende

Update 30.10.2024

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: BAföG-Grundpauschale im Zeitraum Oktober 2014 bis Februar 2015 mit dem Grundgesetz vereinbar (Beschluss vom 23. September 2024, 1 BvL 9/21). Siehe dazu taz.de, GEW und www.bafoeg-rechner.de.

Der Beschluss des Bundesverfassungs­gerichts vom 23.09.2024 zur Verfassungsmäßigkeit des BAföG-Bedarfssatzes ist eine herbe Enttäuschung für alle Studierenden. Für gleiche Bildungs- und Ausbildungschancen wird nicht gesorgt, wenn Studierende in einer finanziellen Notlage ihr Studium abbrechen müssen, um existenzsichernde Leistungen bekommen zu können, und dann in vielen Numerus-Clausus-Fächern keine Chance mehr haben, später ihr Studium fortzusetzen, weil Bewerbungen für höhere Fachsemester unmöglich sind.

Politisch ist weiterhin eine deutliche Erhöhung der BAföG-Bedarfssätze geboten, die mit bis zu 475,00 € für Studierende deutlich unter den 563,00 € Regelbedarf beim Bürgergeld liegen (in dem keine Ausbildungskosten enthalten sind) und nur bei Schülerinnen und Schülern sowie bei bei den Eltern wohnenden Studierenden nach § 7 Absatz 6 Nr. 2 SGB II durch Bürgergeld aufgestockt werden können. Ob es eine verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung von Studierenden gibt, die nicht bei den Eltern wohnen, hat das Bundesverfassungs­gericht nicht entschieden; dies müsste ggfs. in Verfahren bei den Sozialgerichten auf den Prüfstand gestellt werden.

Dringend geboten ist auch eine deutliche Erhöhung des Bedarfssatzes für die Unterkunftskosten, da 380 € in den meisten Fällen nicht reichen. Wegen des im Bundesgebiet äußerst unterschiedlichen Mietniveaus ist es außerdem angezeigt, beim BAföG zumindest eine Staffelung nach regionalen Mietstufen einzuführen, wie sie beim Wohngeld besteht. Über den auch diese Frage betreffenden Vorlagebeschluss des Verwaltungsgericht Berlin vom 05.06.2024 hat das Bundesverfassungs­gericht noch nicht entschieden.

Wegen der Erhöhung der Zusatzbeiträge (und zusätzlich für die freiwillig versicherten Studierenden über 30 wegen der Erhöhung des fiktiven Mindesteinkommens durch die Anpassung der Bezugsgröße) werden die BAföG-Bedarfssätze für die Kranken- und Pflegeversicherung ab Januar 2025 nicht mehr bedarfsdeckend sein. Es wird eine Lücke von 6,76 € entstehen, die bei freiwillig Versicherten sogar 22,91 € monatlich betragen wird. Es ist dringend geboten, dass die Bedarfssätze für die Kranken- und Pflegeversicherung in § 13a BAföG zum 01.01.2025 angepasst werden (dazu anbei auch ein kleines Papier, das ich vor Erhalt des BVerfG-Beschlusses vom 23.09.2024 erstellt habe).

Im Beschluss des Bundesverfassungs­gerichts vom 23.09.2024 wird die sozialpolitische Priorisierungsbefugnis des Gesetzgebers betont. Damit die Studierenden nicht weiter arm bleiben müssen, ist daher weiterhin politischer Druck erforderlich, der nicht nur, aber auch bei der nächsten Bundestagswahl möglich ist.


Update 21.08.2024


Update 02.02.2022:

Klage vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig gegen die Technische Universität Braunschweig: "Es soll beantragt werden, den Bescheid vom 11.01.2022, soweit dieser entgegensteht, aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin für den Bewilligungszeitraum Oktober 2021 bis September 2022 höhere Ausbildungsförderung zu bewilligen."

Schriftsatz vom 31.01.2022 und Anlagen der Klage.

21.05.2021, aktualisiert 11.12.2022:

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 20.05.2021 beschlossen, dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Vereinbarkeit des BAföG-Bedarfssatzes mit dem Grundgesetz zur Entscheidung vorzulegen (siehe BVerwG 5 C 11.18 und Pressemitteilung BVerwG).

Es ist in einem von Rechtsanwalt Joachim Schaller vertretenen Verfahren – anders als das Verwaltungsgericht Osnabrück und das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht – zu der Überzeugung gekommen, dass der im Zeitraum von Oktober 2014 bis Februar 2015 geltende Grundbedarfssatz für Studierende von 373,00 € (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG), gegen den aus dem verfassungsrechtlichen Teilhaberecht auf chancengleichen Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten folgenden Anspruch auf Gewährleistung des ausbildungsbezogenen Existenzminimums (Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG - in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) verstößt.

Die von Rechtsanwalt Joachim Schaller vertretene Studentin studierte ab dem Wintersemester 2014/2015 im Masterstudiengang Psychologie an der Universität Osnabrück. Sie bekam unter teilweiser Anrechnung von elterlichem Einkommen für die Monate Oktober 2014 bis Februar 2015 Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG).

Mit der Klage gegen den BAföG-Bescheid machte Rechtsanwalt Joachim Schaller geltend, dass der BAföG-Bedarfssatz, der 2010 zuletzt angepasst worden war, verfassungswidrig zu niedrig ist und gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt, hilfsweise gegen den sich aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG ergebenden Anspruch auf ein System der individuellen Ausbildungsförderung zur Sicherung der Teilhabe am staatlichen Ausbildungsangebot. Die Revisionsbegründung umfasste 74 Seiten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat nach den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung zwar einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verneint, bejaht aber einen Verstoß gegen die Gewährleistung eines ausbildungsbezogenen Existenzminimums für die von Gesetzgeber als förderungswürdig und -bedürftig ausgewiesenen Studierenden, wie aus dessen Pressemitteilung ersichtlich ist.

Nach 50 Jahren BAföG wird damit erstmals die Verfassungswidrigkeit des BAföG-Bedarfssatzes beim Bundesverfassungsgericht auf den Prüfstand gestellt. Während ausgehend von einem Preisindex von 100 im Jahre 1970 die Inflation bis 2010 307,3 betrug, wurde der Bedarfssatz für Studierende ohne Unterkunftskosten nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG von 300,00 DM 1971 mit 373,00 € 2010 nur auf 243,2 erhöht (Details im PDF).

Vor der Verhandlung hatte Rechtsanwalt Joachim Schaller auf einer Kundgebung der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS) vor dem Bundesverwaltungsgericht, bei der auch Carlotta Kühnemann (Vorstandsmitglied des fzs - freier zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V.) und Vertreter*innen der Studierendenräte (StuRä) der Universität Leipzig sowie der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig sprachen, deutlich gemacht, dass die von der Bundesregierung für die Rechtfertigung der BAföG-Bedarfssätze herangezogenen Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerks e.V. systematisch verschiedene Bedarfspositionen nicht erfragen, die nach dem Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) für das SGB II und das SGB XII als regelbedarfsrelevant anerkannt sind. Dies betrifft auf der Basis der Zahlen für 2015 mindestens folgende Positionen der Verbrauchsausgaben der einzelnen Abteilungen aus der Sonderauswertung für Einpersonenhaushalte der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS 2013):

2,34 € Wohnungsinstandhaltung (Abteilung 04 ohne Strom)
30,24 € Einrichtungsgegenstände für den Haushalt (Abteilung 05)
1,53 € Bildungswesen, z.B. VHS- und Sprachkurse (Abteilung 10)
29,23 € Andere Waren und Dienstleistungen (Abteilung 12)

Eine für das Klageverfahren verwendete Übersicht hierzu kann als PDF abgerufen werden.

Auch in der im Mai 2021 angelaufenen 22. Sozialerhebung werden diese Bedarfe, die auch bei Studierenden anfallen, nicht abgefragt, so dass erneut eine systematische Untererfassung der tatsächlichen Verhältnisse erfolgt.

Weiter dürfte der Bedarf für Strom nicht im zusätzlichen Bedarfssatz für die Unterkunft enthalten sein (das waren von 2010-2016 224,00 € nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG für nicht bei den Eltern wohnende Studierende, inzwischen waren es seit 2019 325,00 €, nach dem 27. BAföGÄndG 2022 nunmehr 360,00 €), der kein Gegenstand des Klageverfahrens BVerwG 5 C 11.18 ist.

Wann das Bundesverfassungsgericht über den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts entscheidet und welche Folgen das für aktuell BAföG beziehende Studierende hat, ist nicht absehbar. [siehe aber Update 21.08.2024]

Das Bundesverfassungsgericht hat in den Entscheidungen zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 20 und 28 SGB II 2005 (Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 -) und der Höhe der Geldleistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes 1993 (Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 -) unterschiedliche Maßgaben angeordnet.

Unabhängig vom Ausgang des Vorlageverfahrens ist es wichtig, dass das restriktive BAföG nach 50 Jahren reformiert wird. Dazu bedarf es vor allem politischen Drucks und des Kreuzchens bei der richtigen Partei bei Bundestagswahl 2021. Gute Ideen finden sich auf der Homepage des Bündnisses #bafög50 (50 Jahre BAföG (k)ein Grund zum Feiern) und in den Anforderungen des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften an eine 27. BAföG-Novelle („BAföG bedarfsgerecht ausgestalten und weiterentwickeln“), die im Januar 2021 veröffentlicht wurden (problematisch ist allerdings die u.a. vom DGB erhobene Forderung, auch ein Teilzeitstudium im BAföG förderungsfähig zu machen; solange der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II für Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, gilt, ist ein Teilzeitstudium für viele Studierende, die aus den unterschiedlichsten Gründen kein BAföG (mehr) bekommen, die einzige Möglichkeit, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Jobcenter zu bekommen; Details zu Ansprüchen von Auszubildenden finden sich im Skript SGB II und Ausbildungsförderung, das auf der Homepage von Rechtsanwalt Joachim Schaller unter Veröffentlichungen zu finden ist).
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